Wozu ist Dehnen gut?
Vom Aufwärmen vor dem Training und der Entspannung der Muskulatur nach der Belastung, über Verletzungsprävention bis hin zu verbesserter Beweglichkeit und effizienter Übungsausführung – die Zielsetzungen des Beweglichkeitstrainings können ganz unterschiedlich sein. Für verschiedene Ziele gibt es daher auch verschiedene Arten des Dehnens, die sich in Studien als besonders effektiv herauskristallisiert haben.
Richtig stretchen: So dehnst du dich richtig
Dehnübungen lassen sich in zwei Dimensionen kategorisieren, wobei jeder Dehn-Typ bestimmte Vorteile hat und somit je nach Zielsetzung die richtige Wahl sein kann.
Statisches Dehnen vs. Dynamisches Dehnen
Unter dem klassischem Stretching versteht man üblicherweise statisches Dehnen. Bei dieser Methode wird die Dehnposition in einer Übung langsam eingenommen und für etwa 20 bis 30 Sekunden in der Endposition, kurz vor der Schmerzgrenze, gehalten.
Beim dynamischen Dehnen hingegen wird ein Gelenk in kleinen, rhythmischen Bewegungen in die entsprechende maximale Endposition gebracht. Diese grobe Einteilung in statisch und dynamisch ermöglicht viele weitere Varianten, beispielsweise etwa das “ziehende” Dehnen, wobei das Gelenk zunächst langsam in eine maximale Dehnstellung gebracht, dann jedoch zunehmend darüber hinaus gedehnt wird.
Eine als äußerst effektiv bekannte Methode ist auch das CHRS- oder contract-relax Dehnen. Hierbei wird ein Muskel zuerst 5 bis 10 Sekunden in einer Position maximal angespannt, dann kurz entspannt, um daraufhin für 20 bis 30 Sekunden intensiv gedehnt zu werden.
Aktives Dehnen vs. Passives Dehnen
Zusätzlich zur Einteilung statisch – dynamisch kann Dehnen auch aktiv und passiv stattfinden. Von aktivem Dehnen spricht man, wenn die Dehnspannung im Muskel allein durch das Anspannen des Gegenspielers erreicht wird. Beispiel: Mit geradem Rücken und aufgerichtetem Becken auf einem Stuhl sitzen und ein gestrecktes Bein waagrecht nach vorne heben. Je nach persönlicher Beweglichkeit kann dieses aktive Anspannen der Muskeln auf der Vorderseite des Beins bereits zur Dehnung derer auf der Rückseite führen.
Als passives Dehnen dagegen bezeichnet man Übungen, bei denen eine Muskelpartie gezielt mit Zugunterstützung von Armen, der Schwerkraft, einem Partner oder äußerem Widerstand gedehnt wird. Um wieder auf Oberschenkelrückseite und Wadenmuskulatur zurückzukommen: Passiv kann man diese dehnen, indem man in etwa hüftbreitem Stand den Oberkörper vorbeugt und mit den Händen die Füße berührt – oder zumindest zu berühren versucht.
Aktives und passives Dehnen kann nun jeweils statisch oder dynamischen passieren, je nachdem ob in einer Übung langsam bis zur Endposition gedehnt und dann gehalten wird, oder diese etwa mit wippenden oder schwingenden Bewegungen erreicht wird. Somit entstehen 2 x 2, also 4 “Dehn-Typen”, die alle ihren besonderen Einsatzzweck haben.
Dehnen vor oder nach dem Training
Dehnen ist als Teil des Aufwärmens vor dem Training unverzichtbar. Ziel ist es dabei, die Muskulatur aus ihrer entspannten Ruheform in eine einsatzbereite und leistungsfähige Aktivierung zu versetzen und als kurzfristige Verletzungsprophylaxe, um Schäden durch plötzliche Belastung zu vermeiden.
Zum Aufwärmen empfehlen sich in erster Linie aktiv-dynamische Dehnübungen sowie solche, die einen ähnlichen Bewegungsablauf haben wie die späteren Trainingsübungen. Wer sich beispielsweise in einer Trainingseinheit auf Arme, Schultern, Brust und Rücken konzentrieren will, kann diese Muskelgruppen gut durch seitliches wie auch vertikales Schwingen der Arme und Drehen bzw. Neigen des Rumpfes aufwärmen. Prinzipiell ist ein intensives, passives Dehnen vor dem Training genauso wirkungsvoll, kann allerdings die Schnellkraftleistung vorübergehend herabsetzen und ist daher nicht ideal zum Aufwärmen.
Das Dehnen nach dem Training hat hingegen das Ziel, der hochgradig beanspruchten Muskulatur die Anspannung zu nehmen. Durch das Senken des sogenannten Muskeltonus geht der Körper schneller in einen angenehmen Entspannungsmodus und damit zur Regeneration über. Für diesen Zweck eignen sich aktiv- oder passiv-statische Dehnübungen am besten.
Beweglichkeitstraining im Kraftsport
Wer über die Aspekte Aufwärmen/Entspannung hinaus an seiner spezifischen Beweglichkeit bei der Ausführung bestimmter Übungen arbeiten will, für den sind ebenfalls aktiv-dynamische Übungen die beste Wahl. Diese Übungen können unabhängig vom Training beispielsweise einfach in die Morgen- oder Abendroutine eingebaut werden und ermöglichen mit der Zeit eine bessere Bewegungsausführung einer Übung. Für eine größere Bewegungsfreiheit eines Gelenks sind am besten intensive, passiv-statische Übungen geeignet: aus dieser größeren Bewegungsamplitude im Gelenk resultiert eine höhere Beweglichkeitsreserve, wodurch Bewegungen ökonomischer und kraftvoller ausgeführt werden können. Zudem wird das Verletzungsrisiko der gefährlichen Überlastung eines bereits vollständigen gedehnten Muskels (im Sinne einer Zerrung oder eines Muskelfaserrisses) deutlich reduziert.
Unabhängig davon, ob ein Sportler mit Beweglichkeitstraining Verletzungen vorbeugen oder sein Leistungspotential steigern möchte – oder als Dehn-Muffel generell wenig Interesse an der Thematik hat: ein Minimum an Dehntraining, zumindest für die besonders häufig trainierten Muskelgruppen, ist unbedingt notwendig, um muskuläre Dysbalancen und dauerhafte Haltungsschäden zu vermeiden. Denn Muskulatur, die regelmäßig trainiert wird, verkürzt sich zunehmend, wodurch ohne Gegenmaßnahmen bereits innerhalb kurzer Zeit erste Haltungsschwächen und Bewegungseinschränkungen entstehen können. Langfristig drohen permanente Haltungsschäden und Fehlbelastungen von Gelenken, die beispielsweise mit schnellerem Gelenkverschleiß einhergehen können.
Tipps für deine Dehnung
Um der Entstehung derartiger Probleme von vornherein entgegenzuwirken und langfristig erfolgreich zu trainieren, gilt es zwei Komponenten zu berücksichtigen: Zum einen das Dehnen der stark beanspruchten Muskelgruppen, wie etwa der Oberschenkelvorderseite und der Brustmuskulatur, mithilfe intensiver Dehnungsmethoden, z.B. passiv-statisch (wegen des hohen Wirkungsgrades). Zum anderen wirkt sich auch das Training der jeweiligen Antagonisten, in diesem Fall beispielsweise der Hamstrings, Schultern und des oberen Rückens, positiv auf gute Haltung, Beweglichkeit und gleichmäßige Muskelverteilung aus.
Konkrete Dehnungsübungen gibt es für alle Muskelgruppen zu Hauf. Zum besseren Verständnis kann es sich lohnen, sich einige davon z.B. auf YouTube mit ausführlicher Anleitung anzusehen. Bei der Ausführung kann zudem ein Spiegel sehr hilfreich sein, um eine gute Haltung und saubere Übungsausführung für hohe Effektivität zu gewährleisten. Für jemanden, der tatsächlich noch kaum oder gar keine Erfahrung mit gezieltem Dehnen hat, ist die beste Lösung allerdings immer eine persönliche Anleitung und Betreuung beispielsweise durch einen kompetente Fitnesstrainer oder zumindest erfahrenen Trainingskollegen.
Wer diese Ratschläge im täglichen Training berücksichtigt und Wert auf gutes Aufwärmen sowie anhaltende Beweglichkeit der Muskulatur durch geeignetes Dehntraining legt, dessen Chancen stehen gut, langfristig verletzungsfrei zu trainieren und gesteckte Ziele zu erreichen. Das Schöne am Dehnen: bereits mit geringem, aber regelmäßigem Zeitaufwand sind sehr schnell positive Ergebnisse zu sehen. Ausprobieren lohnt sich!